9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Erkenntnis und Blindheit

29.05.2024. In der taz fordert Meron Mendel Deutschland und die EU auf, Palästina als Staat anzuerkennen, um Netanjahu Grenzen zu setzen. Im Tagesspiegel will Richard David Precht immer noch nicht glauben, dass Putin Böses im Schilde führt. In der FR legt Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank, dar, wie massiv antisemitische Narrative in den sozialen Medien verbreitet werden. Bei der Europawahl bitte den Klimaschutz nicht vergessen, mahnt in der SZ die Philosophin Friederike Otto. Die Zeit beklagt, dass in der Debatte um Gaza "Kontext" immer nur der eigenen Seite zugestanden wird.

Mal bloß nicht überreagieren

28.05.2024. Die taz wirft einen besorgten Blick auf die kommenden südafrikanischen Wahlen. In der SZ bekennt Etgar Keret seine Verzweiflung über die israelische Regierung. Das ZDF zeigt am Beispiel des Bombardements von Rafah, wie wichtig Faktenchecks sind. Auf gespenstische Weise abwesend ist das Thema Krieg in Europa in den aktuellen Wahlkämpfen, konstatiert Richard Herzinger in der Internationalen Politik.  Das Anwenden falscher Pronomen gilt als Gewalt, aber "From the river to the sea" und "Intifada" soll man einfach so brüllen dürfen, fragt Mirna Funk in der Welt.

Der archaischste Kern des Westens

27.05.2024. Die SZ bringt Natan Sznaiders "pragmatische zionistische Vision". Vor zwanzig Jahren: Die taz erinnert an den Verkauf von 65.700 kommunalen Berliner Wohnungen an private Investoren zum Quadratmeterpreis von so ungefähr 450 Euro. In der NZZ sucht der israelische Religionswissenschaftler Tomer Persico nach den tiefsten Wurzeln des heutigen akademischen Antisemitismus. Und: Nach der HU-Räumung ist die Stimmung unter den Professoren offenbar ganz anders als nach der FU-Räumung.

Unter der Prämisse von Redefreiheit

25.05.2024. Warum nur diese Fixierung auf Israel fragt Armin Nassehi mit Blick auf seine Kollegen, die sich mit den Pro-Hamas-Studenten solidarisieren - und findet sehr alte Muster des Antisemitismus. Der Politologe Daniel Marwecki wirft Deutschland in der taz vor, zum israelischen Sieg im Sechstagekrieg beigetragen zu haben. In der FR wehrt sich Hermann Parzinger gegen den Vergleich von Kolonialismus und Holocaust.

System der abgestuften Ungleichheit

24.05.2024. Die Milizen der RSF stapeln die Leichen so hoch, dass man sie vom Weltraum aus sehen kann, erzählt Nathaniel Raymond von der Yale-Universität im Spiegel - für den Konflikt im Sudan interessiert sich trotzdem keiner. In einem Twitter-Post begründet Fania Oz-Salzberger nochmal, warum die voraussetzungslose Anerkennung Palästinas durch einige EU-Länder nur der Hamas nutzt. Russland verschiebt mal eben die Seegrenzen in der Ostsee, und der Westen lässt sich diese Provokation gefallen, notiert die SZ. In der NZZ prangert der Historiker Pratinav Anil die Zähigkeit des Kastensystems in Indien an.

Diese Bilder müssen gezeigt werden

23.05.2024. Die Angehörigen der Hamas-Geiseln bringen ein bisher nicht veröffentlichtes Video heraus, das zeigt, wie einige junge Frauen von Hamas-Terroristen festgehalten und misshandelt werden. Ayelet Levy Shachar, Mutter der Geisel Naama Levy, erklärt auf CNN, warum sie zugestimmt hat. Wir binden beide Videos ein. Israel wird unterdessen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, richtig so, meint der Rechtshistoriker Stefan Talmon in Spiegel online. Studenten der Humboldt Uni rufen "Resistance is Justified" und besetzen ein Institut. Die Uni sucht den "Dialog". 75 Jahre Grundgesetz: "Man kann nicht kolonisiert worden sein, wenn man selbst durch ein Beitrittsgesuch ausdrücklich zugestimmt hat", sagt der Rechtshistoriker Jan Thiessen in Zeit online an die Adresse angeblicher Kolonisierungsopfer in den Neuen Ländern.

Schlachtreif wie ein fettes Lamm

22.05.2024. Auf Zeit online versucht sich der Philosoph Ingo Elbe den "Erlösungsantizionismus" vieler Linker zu erklären. Nur wenn die Diktaturen nicht überleben, hat die Menschheit eine Zukunft, ruft Wolfgang Bauer ebenfalls auf Zeit online. Ebendort blickt Timothy Garton Ash zurück auf 75 Jahre Deutsche Bundesrepublik und fragt: "Großes Deutschland - was nun?" In der SZ nimmt der Historiker Volker Weiß die "neue Rechte" unter die Lupe und stellt wenig überraschend fest, dass sie sich kaum von der alten unterscheidet. Im Tagesspiegel verteidigt der Nahost-Experte Rashid Khalidi die antiisraelischen Studentenproteste an der Columbia-University. Und Aleida Assmann verteidigt in der FAZ Claudia Roths Konzept für eine erweiterte Erinnerungskultur.

Aus dem Quell dieser romantischen Revolte

21.05.2024. Während der UN-Sicherheitsrat sich zur Schweigeminute für den "Schlächter von Teheran" erhebt, beantragt der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Wir verlinken zu ersten Stellungnahmen. Im RBB warnt Salman Rushdie die an den Unis protestierenden Studenten vor einem Abgleiten in den Antisemitismus. FAZ und Welt feiern 75 Jahre Grundgesetz. In der Welt wettert der österreichische Autor Richard Schuberth gegen eine Linke, die ihre Wurzeln in der Aufklärung längst gekappt hat.

Von Utopien gar nicht zu reden

18.05.2024. In der FR warnt Timothy Garton Ash vor einer Trump-Partei in Europa. In der taz bedauert der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk die vertane Chance auf eine gemeinsame Verfassung im wiedervereinigten Deutschland. Der Politologe Philip Manow stellt gleich den ganzen Rechtsstaat in Frage. In der SZ legt die israelische Soziologin Eva Illouz dar, weshalb die Proteste gegen Israel nicht antizionistisch, sondern antisemitisch sind. Und in der Welt fragt Joe Chialo, weshalb aus der Antidiskriminierungsklausel sofort die Antisemitismusklausel wurde.

Was sind das für Menschen?

17.05.2024. In der NZZ wirft der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg dem Westen und insbesondere Deutschland vor, Auschwitz als seine Offenbarung zu betrachten. Ebenfalls in der NZZ fordert der Ökonom Amos Michael Friedländer eine asiatische Nato. Im taz-Gespräch erzählt Amir Kazemi, Cousin des im Iran hingerichteten Majid Kazemi, wie die Familie noch auf der Beerdigung verhöhnt wurde. Zeit Online fragt die progressive Linke, wieso sie nicht auch für die Opfer autokratischen Machthaber im Globalen Süden auf die Straße geht.